Anis – ein Familienmitglied der Doldenblütler

Autor/en: 
Dipl.-Ing. (FH) Maria VogelPharmazie-Ingenieurin

Der Anis – mit botanischem Namen Pimpinella anisum – ist die „Heilpflanze des Jahres 2014“. Gekürt wurde sie vom NHV Theophrastus, der mit dieser Wahl interessierte Menschen auf eine der ältesten Gewürz- und Heilpflanzen aufmerksam machen möchte.

Die Pflanze

Biologische Einordnung

Der Anis ist eine Pflanze aus der Familie der Doldenblütengewächse (Apiaceae), die insgesamt über 3000 Mitglieder umfasst. Eng verwandt ist er mit Gewürzpflanzen wie Dill, Fenchel oder Koriander, aber auch mit der Karotte als Gemüsepflanze. Innerhalb der Familie werden die Doldenblütler in etwa 300 Gattungen unterteilt. Eine davon ist die Gattung Pimpinella, in die der Anis eingeordnet wird. Außerdem gehören dieser Gattung verschiedene Arten der Bibernellen an.

Aussehen

Die einjährige Anispflanze wird 30–60 cm hoch und hat eine dünne, spindelförmige Pfahlwurzel mit einem aufrechten, gerillten, oben verzweigten ästigen Stängel. Die Blätter unterscheiden sich in ihrem Aussehen: Während die unteren Laubblätter ungeteilt und rundlich sind, werden sie zur Pflanzenspitze hin zunehmend feiner strukturiert – die mittleren sind einfach gefiedert, die oberen zwei- bis dreifach gefiedert. Im Juli/August blühen zahlreiche kleine weiße Blüten auf, die aus fünf kleinen Kronblättchen bestehen und sich zu flachen, lockeren Doppeldolden zusammenfügen. Das eigentliche Erntegut sind die länglichen Früchte, die sich im Spätsommer entwickeln und die aufgrund des hohen Anteils an ätherischem Öl für medizinische Zwecke sowie die Lebens- und Genussmittelindustrie von Bedeutung sind.

Anbau

Es ist nicht genau bekannt, wo die ursprüngliche Heimat der Anispflanze ist – vermutet wird das östliche Mittelmeergebiet. Heute ist er kaum noch in seiner ursprünglich wildwachsenden Form anzutreffen. Hauptanbaugebiete sind meist südeuropäische Länder, wie die Türkei, Spanien und Italien, aber auch Asien, Mittel- und Südamerika.
Wer Anis im eigenen Garten anpflanzen möchte, sollte dafür einen relativ trockenen Standort mit schneller Erwärmung im Frühjahr wählen. Ausgesät wird ab Ende April. Besser sind jedoch im Gewächshaus vorgezogene Pflanzen, die dann nach dem letzten Frost ins Freie gepflanzt werden. Die Pflanze mag Wärme, mäßige Feuchtigkeit und einen langen, sonnigen Herbst, damit die Samen reifen.

Ernte

Wegen der ungleichmäßigen Reife der Samen werden die ganzen Pflanzen bereits abgeschnitten, wenn die Früchte der mittleren Hauptdolde braun werden und die Stängel sich gelb färben. Da die Früchte leicht ausfallen, sollte die Ernte bei Tau am Morgen erfolgen. Nach der Nachreife und dem Trocknen können die Früchte durch Klopfen über einem Tuch gewonnen werden.

Die Droge

Beschreibung

Als Droge im pharmazeutischen Sinn werden durch Trocknung haltbar gemachte pflanzliche oder tierische Stoffe bezeichnet, die zur Herstellung von Arzneimitteln verwendet werden.
Die Droge Anis ist eine graubraune Spaltfrucht. Sie ist 2 bis 4 mm lang, verkehrt birnenförmig mit fünf nicht sehr deutlich hervorspringenden Rippen und fein behaart. Auch im reifen Zustand zerfällt sie vorwiegend nicht in ihre Teilfrüchte. Oft befindet sich noch der dünne, leicht gebogene Fruchtstiel an der Frucht.
Die Früchte der meisten Doldenblütler ähneln sich. Gelegentlich kommt es zu Verunreinigungen durch Koriander- oder Petersilienfrüchte. Beimischungen durch den giftigen Gefleckten Schierling (Conium maculatum) sind jedoch eher selten, da Anis fast ausschließlich aus angebauten Kulturen gewonnen wird. Erkennbar sind die Früchte des Schierlings durch die in Teilfrüchte zerfallenden, kahlen Samen, die deutlich hervortretende, wellig gekerbte Rippen aufweisen und unangenehm nach Mäusen riechen.

Aroma

Der Geruch der Anisfrüchte wird als eigenartig würzig und der Geschmack mit süßlich aromatisch, oft auch lakritzähnlich, beschrieben. Alfons Schuhbeck, beliebter Fernsehkoch, schildert ihn als

„... mildsüßliches Aroma, in das sich holzige und pfeffrige Noten mischen.“

Weitere anisartig riechende Gewürzdrogen sind der Fenchel, die Süßdolde, der Sternanis, die Mexikanische Fenchelagastache und die Koreanische Minze.

Aufbewahrung

Drogen, die ätherisches Öl enthalten, sollten generell luftdicht in dunklen Glas-, Porzellan- oder Blechgefäßen aufbewahrt werden. Ungeeignet sind Kunststoffbehältnisse, da diese durch das ätherische Öl angegriffen und zersetzt werden können. So wird auch die Qualität von Anis durch den Einfluss von Licht und Luft in hohem Maße vermindert. Deshalb sollte er lichtgeschützt (z. B. in Braunglas) und in möglichst vollständig gefüllten Behältnissen gelagert werden. Doch auch bei sachgerechter Lagerung verliert die Droge relativ schnell an Geruchsqualität. Der durchschnittliche Verlust an ätherischem Öl beträgt etwa 1 % pro Monat. Empfohlen wird deshalb, die Heil- und Gewürzdroge innerhalb von ein bis zwei Jahren zu verbrauchen. Pulverisierter Anis verliert noch schneller seine Würzkraft. Die Früchte sollten daher erst kurz vor der Verwendung gemahlen werden.

Das ätherische Öl

Entstehung in der Pflanze

Das ätherische Anisöl ist in allen Teilen der Pflanze enthalten. Seine Konzentration in den verschiedenen Pflanzenorganen ist jedoch sehr unterschiedlich. Während der Hauptbestandteil des ätherischen Öls, das trans-Anethol zu ca. 95 % in dem Öl der Früchte vorhanden ist, liegt der Gehalt im Kraut nur bei 30 % und in den Wurzeln lediglich bei 3 %.
Ätherisches Anisöl entsteht im Laufe der Pflanzenentwicklung in zwei verschiedenen biosynthetischen Prozessen (auf dem Terpenoidstoffwechselweg und innerhalb des Aminosäure-Stoffwechsels) und wird in sogenannten schizogenen Ölgängen gespeichert. Das sind Hohlräume im Gewebe der Pflanze, die sich durch Auseinanderweichen von benachbarten Zellwänden bilden. Solche Früchte (wie Anis und Fenchel) oder Nadeln (wie z. B. Fichte) müssen gequetscht oder „angestoßen“ werden, bevor sie ihren Duft preisgeben – im Gegensatz zu Pflanzen wie Thymian, Basilikum oder Salbei, deren ätherisches Öl in Drüsen an der Pflanzenoberfläche gespeichert ist und sich bereits durch nur leichte Berührung verströmt.

„Anisöl“

Anisöl wird durch Wasserdampfdestillation von getrockneten, etwas gequetschten Früchten gewonnen. Für das im Handel befindliche „Anisöl“ erlauben allerdings fast alle Arzneibücher als Stammpflanze auch die Verwendung der Früchte des wesentlich billigeren Sternanis (Illicium verum), einem im tropischen Ostasien heimischen Baum.
Beiden Ölen werden gleichartige Wirkungen zugeschrieben. So ist der Inhaltsstoff Anethol jeweils die dominierende Hauptkomponente. Die Öle unterscheiden sich jedoch erheblich betreffs ihrer zahlreichen Nebenbestandteile, wobei nicht bekannt ist, wie diese die pharmakologische Wirkung beeinflussen.
Das etwas feinere Aroma des echten Anisöls hängt vermutlich mit seinem geringeren Terpengehalt zusammen.

Traditionelle Anwendungen

Die ersten Belege für die Verwendung von Anis gehen bis ins Altertum zurück: Ausgrabungen auf der griechischen Insel Santorini lassen einen Gebrauch bereits im 16. Jh. v. Chr. vermuten. Er war Bestandteil des Theriak, einer Wunderarznei, die laut Plinius (23 n. Chr.) gegen alle Krankheiten und Vergiftungen wirksam sein sollte. Bei den Römern war Anis als Verdauungshilfe bekannt. Sie benutzen gezuckerte Anisfrüchte nach üppigen Mahlzeiten.
Wie andere Heilpflanzen auch, sollen Benediktinermönche den Anis mit nach Europa gebracht haben, wo er dann in vielen mittelalterlichen Schriften lobend erwähnt wird: Paracelsus (1493–1541) nennt ihn zusammen mit Fenchel und Christrose als Stärkungsmittel in einer Abführ-Rezeptur. Hieronymus Bock (1498–1554) verweist auf Anis als Mittel gegen Wassersucht, Magenbeschwerden oder Schluckauf. Und Leonhard Fuchs (1501–1566) schreibt in seinem Kräuterbuch:

„Ist nutz jngenomen den wassersüchtigen, unnd vertreibt das aufbleen des bauchs. Er ist auch gut zu den gifftigen thieren, auff ihre biß gelegt.“

Später verwendete Christoph Wilhelm Hufeland (1762–1836) Anis als schleimlösendes, milchtreibendes und magenanregendes Mittel. In Lexika und Fachbüchern aus dem 19. Jh. bezeichnete man den Spanischen oder Alicantischen Anis als „der beste, welchen man auch am theuersten bezahlt …“ und welcher „…sehr süß und gewürzhaft“ ist.
Der mit Anis und anderen Kräutern geschmacklich aufgewertete Absinth kam im 19. Jh. als Anregungsmittel in Mode. Wegen des häufigen Missbrauchs und des vermutlich minderwertigen Alkohols, welche den „Absinthismus“ auslösten, wurde er zu Beginn des 20. Jh. wieder verboten. Seit 1998 ist das Verbot des Absinth-Schnapses innerhalb der EU wieder aufgehoben.

Verwendung

Medizin, Kosmetik & Genussmittel

Anis wirkt expektorierend, schwach spasmolytisch, antibakteriell und fördert die Speichel- und Magensaftsekretion und wird deshalb bei dyspeptischen Beschwerden und Katarrhen der Luftwege empfohlen. Die Erfahrungsheilkunde setzt ihn außerdem bei stillenden Müttern zur Förderung des Milchflusses ein. Ferner wird Anis zum Aromatisieren von Zahnpasten, Mundwässern und von Pfeifentabak verwendet, sowie zum Verdecken unangenehmer Gerüche in Arzneimitteln und kosmetischen Produkten. In Mexiko ist er als Mittel bei Menstruationsbeschwerden bekannt und in Marokko ist Anis mit Sesam und Honig vermischt ein wohlschmeckendes Medikament gegen Erkältungen.

Anis als Gewürz

Hierzulande ist Anis vorwiegend als Brot- und Kuchengewürz oder für Weihnachtsgebäck, wie Anisplätzchen und Lebkuchen, bekannt. Fette Fleisch- oder Fischgerichte schmecken mit Anis gewürzt frischer und sind leichter bekömmlich. Er ist in fertigen Würzmischungen, u. a. in Curry-Pulver, Kräuter der Provence oder für Wurst, zu finden. Am bekanntesten ist der Anis jedoch als Bestandteil alkoholischer Getränke wie im griechischen Ouzo oder Mastika, im französischen Pastis oder Pernod oder im türkischen Raki. Auch in Deutschland kreierte man anishaltige Liköre wie z. B. Küstennebel oder Goldwasser.
In asiatischen Küchen (Indien, Iran, Indonesien) wird oft nicht unterschieden zwischen Anis und Fenchel und auf den Philippinen wird der Sternanis nur als Anis bezeichnet.

Anis in der Tierwelt

Vierbeinige oder geflügelte Gefährten der Menschen scheinen den Anis ebenfalls zu mögen: Nach alten Überlieferungen heißt es, dass man Haustieren wie Pferden und Hunden Anis zur Gesunderhaltung in das Futter mischte. Sogar Mausefallen wurden mit ihm parfümiert, um die kleinen Nagetiere anzulocken. Taubenzüchter verwenden seit langem Anis, um neu gekaufte Tauben an den Schlag zu gewöhnen, woher auch der volkstümliche Name „Taubenanis“ stammt. Eine altbewährte Methode bei der Jagd auf Rot- oder Schwarzwild ist das Anlocken durch auf Baumstümpfe angebrachte mit Anis aromatisierte Salzlecken, auch „Sulzen“ genannt. Und in der Landwirtschaft werden die Rückstände von der Destillation des ätherischen Anisöls als Viehfutter verwendet. Grund ist der hohe Gehalt an Eiweißstoffen und fettem Öl.

Zum Schluss

Durch die Wahl zur Heilpflanze des Jahres wird der Anis 2014 in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt. Die Pflanze bietet vielfältige Gelegenheiten zum Ausprobieren: Sei es der Anbauversuch im eigenen Garten, das Fangen der im Keller verirrten Maus oder das Kreieren einer neuen Gewürzmischung. „Aber Achtung:“, warnt Alfons Schuhbeck,

„Anis sollte man immer vorsichtig dosieren, damit er andere Gewürze nicht dominiert!“

2013


Verwendete Literatur (Auswahl):

  • Eigner, Barbara, u. a.: Botanik und Drogenkunde, 9. neu bearbeitete Auflage, Deutscher Apotheker Verlag, Stuttgart 2010
  • Fuchs, Leonhart: New Kreuterbuch, Nachdruck der Baseler Ausgabe durch M. Isingrin von 1543 mit frdl. Genehmigung des Originalverlages, VMA-Verlag, Wiesbaden 2002
  • Geiger, Philipp Lorenz: Handbuch der Pharmazie, 2. Auflage, Neu bearbeitet v. H. Dierbach u. a., 2. Abtheilung Pharmazeutische Botanik, Akademische Verlagshandlung von C. F. Winter, Heidelberg 1840
  • Hänsel, Rudolf, u. a.: Hagers Handbuch der Pharmazeutischen Praxis Bd. 6, 5. vollständige neubearbeitete Auflage, Springer Verlag; Berlin 1994
  • Heyland, Klaus-Ulrich u. a. (Herausgeber): Ölfrüchte, Faserpflanzen, Arzneipflanzen und Sonderkulturen, Eugen Ulmer KG, Stuttgart 2006
  • Schmiedel, Volker: Leitfaden Naturheilkunde, 5. Auflage, Elsevier GmbH, Urban & Fischer Verlag, München 2008
  • Schuhbeck, Alfons: Meine Küche der Gewürze, 5. Auflage, Verlag Zabert Sandmann, München 2009
  • Teuscher, Eberhard: Gewürzdrogen, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH, Stuttgart 2003
  • Venzlaff, Helga: Der marokkanische Drogenhändler und seine Ware, Ein Beitrag zu Terminologie und volkstümlichem Gebrauch traditioneller arabischer Materia medica, 1. Auflage, Franz Steiner Verlag GmbH, Wiesbaden 1977
  • Zimmermann, Eliane: Aromatherapie für Pflege- und Heilberufe, 3., völlig überarbeitete Auflage, Sonntag Verlag, Stuttgart 2006
Dipl.-Ing. (FH) Maria VogelPharmazie-Ingenieurin