Rote Weinrebenblätter (Vitis vinifera L. folium)

Autor/en: 
Dipl.-Ing. Katja KunathHeilpraktikerin

Dass Wein schon in der Antike eine geschätzte Pflanze war, belegen alte griechische Münzen, auf denen Weinblätter abgebildet sind. Heutzutage werden rote Weinrebenblätter vielfältig in der Medizin angewendet, zum Beispiel im Zusammenhang mit Gefäßerkrankungen.

Zum Fundus des Landesmuseums für Vorgeschichte Halle gehört eine etwa 370.000 Jahre alte Travertin-Platte mit dem versteinerten Abdruck eines Weinblattes. Das Fossil aus dem thüringischen Bilzingsleben ist eines der ältesten europäischen Zeugnisse für das Vorkommen von Weinreben nahe menschlicher Behausungen. 1 2

Derzeit werden Rote Weinrebenblätter in Europa als Tee, Pulver, Trocken- und Fluidextrakte, Salben, Cremes und Gele genutzt. Die hand- bis herzförmigen Blätter des Weinstocks (Vitis vinifera L.) sind bis 12 cm breit und 15 cm lang. Sie haben 3 bis 7 Lappen und einen unregelmäßig gezähnten Blattrand. Während die Blattoberseite meist kahl ist, zeigt sich die Unterseite weißwollig bis filzig behaart. 3 4

Als Arzneidroge dienen 2 bis 8 Wochen nach der Weinlese geerntete, hell- bis dunkelrote Blätter (Vitis viniferae folium) der Kulturreben-Varietäten und Färbertrauben Vitis vinifera L. var. „tinctoria“ oder Vitis vinifera L. var. „teinturier“. 4 Färberreben sind Rebsorten, die Beeren mit roter Schale und rotem Fruchtfleisch bilden. 4 5 Zudem färbt sich deren Laub im Herbst frühzeitig rot. Das Französische Arzneibuch definiert Qualitätsmerkmale für die Arzneidroge. Sie soll mindestens 4 % Polyphenole und 0,2 % Anthocyane enthalten. 6

Vielfältige Anwendung in der Volksmedizin

Dass Wein schon in der Antike eine geschätzte Pflanze war, belegen alte griechische Münzen, auf denen Weinblätter abgebildet sind. 2 Neben anderen Ärzten des 1. Jahrhunderts n. Chr. notierte der Grieche Dioskurides, dass Umschläge aus fein zerstoßenen Weinblättern Kopfschmerzen lindern und der Saft von Weinblättern Magenbeschwerden und Dysenterie (Darmentzündung) bessert. 7

Bekannt sind Rote Weinrebenblätter im Zusammenhang mit Gefäßerkrankungen. Breiartige Umschläge aus Weinlaub wurden in Frankreich traditionell auf geschwollene und schmerzende Beine aufgelegt. 3 Bei Hämorrhoidalleiden verwendete Albertus Magnus im 13. Jahrhundert die Asche der Blätter. 2 Heute wird in Frankreich für Hämorrhoidalleiden die gepulverte Droge 6 genutzt. Auch Blutungen und Blutergüsse sind traditionelle Einsatzgebiete. 3 Seit 1953 erforschen Wissenschaftler die Wirkung von Weinrebenblättern bei lokalen Durchblutungsstörungen. 5

Heilkundige verwendeten Weinlaub gern bei Beschwerden im Verdauungstrakt. Im 17. Jahrhundert empfahl der englische Arzt Nicholas Culpeper gekochtes Weinlaub zur Spülung bei einem wunden Mund. 8 Inder und Franzosen tranken bei Erbrechen Weinblättertee. 9 10 Indigene Völker Nordamerikas, antike Ärzte wie Galen, Dioskurides und Plinius Secundus sowie deutschsprachige Autoren des 16. Jahrhunderts (z. B. Hieronymus Bock, Lonicerus, Leonhart Fuchs) nutzten Weinlaub bei Magenschmerzen und -entzündungen. 2 11 12 Eine wissenschaftliche Studie aus dem Jahr 2015 berichtet über den antientzündlichen Effekt von Weinrebenblättern bei Magenzellen. 13

Hautausschläge, trockene Krätze, entzündete Wunden und Frostbeulen waren und sind Anwendungsbeispiele im antiken Rom, in den deutschsprachigen Gebieten des 16. Jahrhunderts, in England, Frankreich und Indien. 14 9 10 15 2019 ermittelten Forscher, dass ein Weinlaubextrakt zwei für Schuppenflechte typische Marker reduziert. 16

Auch Frauen profitierten von Roten Weinrebenblättern. Zu starke und langanhaltende Regelblutungen, Wechseljahresbeschwerden sowie Appetitstörungen bei Schwangeren wurden traditionell mit Weinlaub reguliert. 2 15 Ureinwohner Nordamerikas behandelten Gelenkbeschwerden mit Packungen aus welkem Weinlaub. 6 In Frankreich kochte man bei Rheuma und Gicht Weinblättertee. 15 Noch heute werden dort Augentropfen mit Weinlaub-Extrakt bei nicht-infektiösen Irritationen der Bindehaut angewendet. 6 Dabei blickt man auf eine lange Tradition zurück, denn schon Conrad von Megenberg setzte im 14. Jahrhundert Weinrebenblätter bei Augenreizungen ein. 2

Monografien zu den Weinrebenblättern

Die deutsche Sachverständigen-Kommission E beurteilte die Anwendung Roter Weinrebenblätter aufgrund fehlender Daten nicht. 17 Nach der Durchsicht historischer und wissenschaftlicher Quellen befürworten der Ausschuss für pflanzliche Arzneimittel der Europäischen Arzneimittel-Agentur (HMPC) sowie die European Scientific Cooperative on Phytotherapy (ESCOP) die Verwendung Roter Weinrebenblätter bei chronischer Veneninsuffizienz (Venenschwäche), wenn sie sich mit müden, schweren, geschwollenen und schmerzenden Beinen oder auch Krampfadern, Spannungsgefühl, Juckreiz oder Krämpfen der Waden zeigt. 6 17 Für diese Indikation zählt der HMPC die Droge zu den medizinisch anerkannten („well-established“) Arzneien.

Rote Weinrebenblätter sind nach HMPC auch ein traditionell pflanzliches Arzneimittel („traditional use“). In dieser Eigenschaft wird es innerlich bei Juckreiz und Brennen von Hämorrhoiden, bei schweren Beinen im Rahmen leichter venöser Zirkulationsstörungen und zur äußerlichen Behandlung von Kapillarbrüchigkeit der Haut verwendet. 6 Die ESCOP nennt eine äußerliche Anwendung auch bei Gefäßveränderungen wie Krampfadern und Couperose. 17

Inhaltsstoffe von Vitis vinifera folium

Rotes Weinlaub ist reich an Polyphenolen. In einer Studie mit 135 Blättern unterschiedlichen Ursprungs wiesen Forscher Gehalte zwischen 4,6 und 18,9 % nach. 6 Zu den Polyphenolen in Roten Weinrebenblättern zählen: 4 6 18
• Flavonoide (z. B. Quercetin-Derivate wie Isoquercitrin und Rutin, außerdem Luteolin-, Apigenin-, Isorhamnetin- und Kämpferol-Derivate),
• Anthocyane (z. B. Malvidin und Paenonidin),
• Stilbene (Resveratrol, Viniferin),
• Gerbstoffe/ Tannine (Catechine, Gallotannine, Ellagitannine und Oligomere Proanthocyanidine (OPC) als Catechin-Abkömmlinge).

Fruchtsäuren, z. B. Apfel-, Oxal- und Weinsäure, Hydroxyzimtsäurederivate, Mineralstoffe, Vitamin C und Carotinoide ergänzen das Spektrum der Inhaltsstoffe. 4 5 6

Wirkspektrum von Roten Weinrebenblättern

Weinlaub ist venenwirksam, reguliert die Gefäßdurchlässigkeit und schützt Zellen vor oxidativem Stress. 6 19 Es wirkt antientzündlich, vermindert die Verklumpung von Blutplättchen und verbessert die Mikrozirkulation in den Gefäßen. 3 6 Klinische Studien aus den Jahren 2000 und 2004 sowie Anwendungsbeobachtungen von 2003 und 2006 belegen den antiödematösen Effekt des Weinlaub-Trockenextraktes AS 195 bei Patienten mit Chronischer Veneninsuffizienz. 6

2004 und 2006 zeigten Forscher eine krampflösende und gefäßentspannende sowie eine Bronchien-erweiternde Wirkung für wässrig-alkoholische Weinlaubextrakte. 6 Ein alkoholischer Extrakt wirkte 2007 gegen einige Antibiotika-resistente, grampositive und -negative Bakterien (z. B. MRSA). 20 Ein wässrig-methanolischer Extrakt hemmte 2021 Herpes simplex-1 und SARS-CoV-2-Viren in frühen Stadien der Infektion. 18 Wissenschaftler stellten außerdem fest, dass Weinrebenblätter und deren Extrakte blutzucker- und fiebersenkend sowie leber- und nierenschützend wirken. Sie fördern die Urinausscheidung und senken die Schmerzempfindlichkeit. 6 19

Weinrebenblätter und -blüten © Gabriele Hanke

Weinrebenblätter und -blüten © Gabriele Hanke

Aktuelle Verwendung in der Schulmedizin

Nach der aktuellen S2k-Leitlinie „Diagnostik und Therapie der Varikose“ wird der Rote Weinlaubextrakt AS 195 zur symptomatischen Therapie von Krampfaderleiden eingesetzt. Täglich sollen 360 bis 720 mg des Extraktes angewendet werden. Bei regelmäßiger Einnahme tritt die volle Wirkung der Arznei nach 2 bis 4 Wochen ein. 21

In Deutschland erhältliche Fertigarzneimittel

Zur innerlichen Anwendung bei Chronischer Venenschwäche stehen Venentabletten (Antistax und Antiveno) zur Verfügung. Sie enthalten 360 mg eines Trockenextraktes aus Roten Weinrebenblättern. Für Beschwerden in Verbindung mit leichten venösen Durchblutungsstörungen sind Cremes, Salben und Gele im Angebot. Da die Wirkstoffe nur begrenzt über die Haut aufgenommen werden, diskutieren Experten kontrovers über deren Wirksamkeit. Zur Unterstützung der Leberfunktion sind Tabletten mit Weinblätterpulver (Hepatodoron und Vitis compositum) erhältlich.

Nebenwirkungen, Kontraindikationen und Hinweise

Die Europäische Arzneimittel-Agentur nennt als mögliche Nebenwirkungen allergische Hypersensitivität der Haut, Übelkeit, Magen-Darm-Beschwerden und Kopfschmerzen. 22 Für die Anwendung von Weinrebenblättern sind keine Kontraindikationen und Wechselwirkungen bekannt. 23 Schwangere, Stillende und Personen unter 18 Jahren sollten Weinlaub wegen derzeit fehlender Daten nicht verwenden. 6

2023


  1. https://st.museum-digital.de/pdf/object/18966.pdf

  2. Schneider E. Rotes Weinlaub – Geschichte der Verwendung in der Medizin. Schweizerische Zeitschrift für Ganzheitsmedizin 2009:21(7/8):333-339

  3. Bäumler S. Heilpflanzenpraxis heute. Urban & Fischer Verlag. München 2007

  4. Wichtl M. Teedrogen und Phytopharmaka. 5. Auflage, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH Stuttgart 2009

  5. [Stange R. Die Weinrebe. Zeitschrift für Komplementärmedizin 2013:4:44-45

  6. Committee on Herbal Medicinal Products. Assessment report on Vitis vinifera L., folium vom 22.11.2016

  7. Berendes, J. Des Pedanios Dioskurides aus Anazarbos Arzneimittellehre in fünf Büchern. Stuttgart 1902

  8. Culpeper N. Culpepers Complete Herbal. Evans-Verlag. London 1814

  9. Jänicke C. et al. Handbuch Phytotherapie. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH Stuttgart 2003

  10. https://www.heilpflanzenwissen.at/pflanzen/die-weinrebe/ vom 22.09.2022

  11. Bock, H.: Kreutter Buch, Darinn Underscheidt, Namen vnnd Würckung der Kreutter, Stauden, Hecken vnnd Beumen, sampt jhren Früchten, so inn Deu͏tschen Landen wachsen. Straßburg 1560

  12. www.waimann.de/capitel/029.html#Abb_46 vom 10.01.2022

  13. Sangiovanni, E. et al. The effect of in vitro gastrointestinal digestion on the anti-inflammatory activity of Vitis vinifera L. Leaves. Food Funct. 2015, 6, 2453–2463

  14. Pelikan, W. Heilpflanzenkunde. Band II und III. 5. Auflage, Verlag am Goetheanum Dornach 2012

  15. https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/daz-az/2007/daz-30-2007/rotes-weinlaub-eine-venenwirksame-arzneidroge vom 13.09.2022

  16. Sangiovanni, E. et al. Vitis vinifera L. leaf extract inhibits in vitro mediators of inflammation an oxidative stress involved in inflammatory-ased skin deseases. Antioxidants 2019,8,134

  17. Schilcher H., Kammerer S, Wegener, T. Leitfaden Phytotherapie. 4. Auflage, Urban & Fischer Verlag München 2010

  18. Zanella C et al. Antiviral Activity of Vitis vinifera Leaf Extract against SARS-CoV-2 ans HSV-1. In: Viruses 2021, 13, 1263

  19. https:/www.escop.com/downloads/vitis-viniferae-folium-red-vine-leaf/ vom 12.02.2022

  20. Oskay M, Sari D. Antimikrobial screening of some turkish medicinal plants. Pharmaceutical Biology. 2007, 45 (3), 176-181

  21. Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften. S2k-Leitlinie 037-018. Diagnostik und Therapie der Varikose. Stand 03/2019

  22. European Medicines Agency. Herbal medicine: Summary for the public: Grapevine leaf (Vitis vinifera L., folium) vom 18.07.2017

  23. Committee on Herbal Medicinal Products. European Union herbal monograph on Vitis vinifera L., folium. Final vom 30.05.2017

Dipl.-Ing. Katja KunathHeilpraktikerin

Frau Kunath studierte Geotechnik und Bergbau an der TU Bergakademie Freiberg und war anschließend viele Jahre im Bergbau tätig. Der Natur verbunden absolvierte sie in Dresden eine Heilpraktiker-Ausbildung und ist seit 2016 in ihrer eigenen Praxis in Göda tätig. Die Pflanzenheilkunde, Homöopathie und Craniosacrale Therapie sowie Methoden der Traditionell Europäischen Naturheilkunde wie Schröpfen, Spagyrik und Aderlass zählen zu ihren Praxisschwerpunkten. Als Fachautorin widmet sie sich traditionellen und modernen Heilpflanzen.