Autogenes Training – ein Weg zu innerer Kraft und Entspannung

Autor/en: 
Dipl.-Biologin Jutta SchuHeilpraktikerin

Das Autogene Training (AT) zeigt uns einen Weg, wieder „zu uns“ zu kommen, um aus uns heraus mit innerer Stärke den Anforderungen, die alltäglich an uns von außen herangetragen werden, entgegenzutreten und sie zu bewältigen.

Die Anforderungen, die der Alltag an uns stellt, die hohe Erwartungshaltung, die wir an uns selbst haben oder die an uns herangetragen wird – sei es im beruflichen Umfeld, in der Familie, selbst in der Freizeitgestaltung und nicht zuletzt durch die modernen Kommunikationsmittel – sind mannigfaltig und nagen an unseren Kräften und unserem Nervenkostüm. Ständig sind wir „online“, unsere Wahrnehmung ist nach außen gekehrt. Schnelle kurzlebige Entscheidungen, Kommentare und Beurteilungen werden uns abverlangt, wir unterwerfen uns dem rastlosen Rhythmus unserer Zeit. Keine Zeit, zu sich zu kommen – keine Zeit, eigene Bedürfnisse zu erkennen und danach zu leben! Fremdbestimmtsein macht sich breit.

Wir begeben uns in ein „Hamsterrad“, das sich vermeintlich unaufhörlich dreht und in dem wir bis zur Erschöpfung weitermachen. Oft geäußerte Gemütsbeschreibungen stressgeplagter Menschen wie: „Ich bin ganz außer mir“, „Ich stehe neben mir“, „Ich bin nicht mehr ich selbst“, „Ich bin ganz aus dem Häuschen“ zeigen hier eine grundlegende Problematik auf. Die Selbstwahrnehmung ist verloren gegangen, wir reagieren nur noch auf die Anforderungen der Außenwelt, wir „veräußern uns“, eigene Bedürfnisse werden vernachlässigt, nicht mehr wahrgenommen und können somit auch nicht mehr befriedigt werden. Mit hohem Energieaufwand versuchen wir in unserem „Hamsterrad“ weiterzulaufen. Kräfteverlust und Ausgebranntsein (Burn-out) sind vorprogrammiert.

Neben anderen Entspannungstechniken wie z. B. Yoga, Qigong oder Progressive Muskelentspannung zeigt uns im Besonderen das Autogene Training (AT) einen Weg, wieder „zu uns“ zu kommen, um aus uns heraus mit innerer Stärke den Anforderungen, die alltäglich an uns von außen herangetragen werden, entgegenzutreten und sie zu bewältigen. Dies kann ein Weg sein, der über die Wahrnehmung des eigenen Körpers (Selbstwahrnehmung) herausführt aus der Fremdbestimmtheit und Überforderung und hinführt zum eigenen Ich, zu den eigenen Bedürfnissen.

Das eigene Ich zu erkennen und in der Folge auch zu achten (Achtsamkeit!) ist die grundlegende Voraussetzung für eine klare schützende Grenzziehung zwischen dem Individuum (Ich) und seiner Umwelt auf der einen Seite und auf der anderen Seite zum gesunden (ausgeglichenen) Interagieren.

Das AT kann durch die selbstgesteuerte Umschaltung auf Ruhe und Entspannung (Autosuggestion) helfen, mit Stress (sogenanntem Dysstress = negativ empfundener Stress) fertig zu werden und so auch präventiv auf die Gesunderhaltung zu wirken.

Historie

Das AT hat sich aus der Hypnose entwickelt. Hinweise auf die heilende bzw. regulierende Wirkung der Hypnose gibt es auf Papyrusrollen um 1552 v. Chr. in Ägypten. In Europa begannen die paramedizinischen Theorien und Therapien zur Gesunderhaltung und Stärkung des menschlichen Organismus im 16./17. Jahrhundert.

Dr. Georg Ernst Stahl (1660–1734) prägte in seiner „Theoria medica vera“ den Begriff der „Anima“, der Lebenskraft, der Lebensenergie, die dem sonst toten Körper innewohnt und die geschützt und erhalten werden sollte. Er erläutert eindringlich, dass jede Störung dieser Anima (Lebenskraft) unweigerlich zu Krankheit führen muss. Daraus entwickelte er das animistisch-vitalisierende Grundkonzept.

Franz-Anton Mesmer (1734–1815) nutzt dieses vitalistische Denkmodell in der Parapsychologie als Grundlage für seine Theorie „vom thierischen Magnetismus“. Hier sind es magnetische Felder, die sich positiv auf die Lebensenergie des Menschen auswirken und zur Gesunderhaltung beitragen (Mesmerismus). Er gilt als Bahnbrecher seiner Zeit für suggestive und hypnotische Behandlungsverfahren.

Johann-Christian Reil (1759–1813), ein Leibarzt Goethes, entspricht in seinen Therapien dieser zeitgenössischen Medizin und unterstreicht in seiner Veröffentlichung „Von der Lebenskraft“ (1796) die Wichtigkeit dieser lebenserhaltenden, uns innewohnenden Kraft.
In der Folge spannt sich dann der Bogen paramedizinischer Therapien vom Mesmerismus über die Hypnose zum AT.

1843 prägt der englische Chirurg James Braid den Begriff der Hypnose (griech: Hypnos = „der Schlaf“).

Ende des 19. Jahrhunderts ist Oskar Vogt in Deutschland der Hauptvertreter der Hypnose. Die Hypnose ist zu diesem Zeitpunkt eine anerkannte Therapieform, bei der der Patient durch Anleitung des Therapeuten in einen schlafähnlichen Zustand vollkommener muskulärer Entspannung versetzt wird. Durch Konfrontation mit früheren Erlebnissen oder aktuellen Konflikten kommt es zur Regulierung der vegetativen Steuerung. Voraussetzung bei dieser Therapieform ist eine enge vertrauensvolle Beziehung zwischen Patient und Behandler (Fremdhypnose).

Ein Schüler Vogts, Johannes Heinrich Schultz, entwickelte aus der Fremdhypnose 1932 die Autohypnose (Selbsthypnose) und etablierte das AT in seiner heutigen Form.

  • auto (griech.) = ursprünglich, selbsttätig
  • genero (lat.) = erzeugen, hervorbringen
  • autogen (griech.) = aus eigener Kraft

Schultz selbst spricht von einer gerichteten „Selbsteinstellung“ beim AT mit klar strukturierter formelhafter Vorsatzbildung. Die formelhafte Vorsatzbildung richtet sich darauf, eine offenliegende Störung, ein belastendes Problem mit der eigenen Person oder einen Konflikt in Sachbezügen zu bearbeiten.

Karl-Robert Rosa, ein Schüler von J. H. Schultz, schreibt 1986 in seinem Buch „Das ist Autogenes Training“ folgenden Satz:

„Das Autogene Training als exakte, methodisch klar definierte Selbsthypnose ist eine Kunst zu sich selbst zu finden und die wiederentdeckte Leiblichkeit in gelöster, ausgeglichener Harmonie zu erfahren“.

Durchführung des Autogenen Trainings

Das AT gliedert sich in die Grundstufe und die sich zeitlebens vervollkommnende individualisierte Oberstufe. Die Anleitung erfolgt immer über einen Therapeuten, danach verselbstständigt sich die Übung durch regelmäßiges Training.

Beim AT kommt es nicht zur Selbstreflexion, da die denkende Hirntätigkeit zurückgestellt oder ganz aufgehoben ist. An die Stelle konzentrierter Denkarbeit ist die ruhige Betrachtung des Körpers in seiner Selbstwahrnehmung getreten, spontane Einfälle verlieren sich und Entspannung tritt ein.

Die Übungen der Grundstufe werden in folgender Reihenfolge mit diesen Vorsatzformeln durchgeführt:

  • Ruheübung
    „Ich bin ganz ruhig“

  • Schwereübung
    z. B. „mein rechter (linker) Arm ist ganz schwer"

  • Wärmeübung
    z. B. „mein rechter (linker) Arm ist ganz warm"

  • Atemübung
    z. B. „es atmet mich“

  • Herzübung
    z. B. „das Herz schlägt ganz ruhig und gleichmäßig“

  • Leibübung/Sonnengeflecht
    „der Leib ist strömend warm“

  • Kopfübung
    z. B. „die Stirn ist angenehm kühl“

Durch die lebenslange Durchführung und Vervollkommnung des AT wird sich diese Entspannungstechnik auf neue anstehende Probleme, neue Bedürfnisse einstellen, die die Grundübungen erweitern. In der sich entwickelnden Oberstufe kommt es zur Subjektivierung und damit zur Individualisierung der formelhaften Vorsätze, eigene Formeln werden artikuliert und eingeflochten. Dem zu lösenden „Problem“ wird dabei ein Name gegeben: z. B. „ruhig bleiben“, „besser schlafen“, „weniger rauchen“, „weniger essen“… Es werden kurze prägnante Sätze in Befehlsform formuliert, die auf anstehende Probleme oder neue Bedürfnisse eingehen.

Wie eingangs erwähnt, handelt es sich beim AT um eine „exakte, methodisch klar definierte Selbsthypnose“, es unterliegt damit strengen Regeln. Deshalb ist unbedingt auf die korrekte Wortwahl bei der formelhaften Vorsatzbildung zu achten.

Allgemeine Regeln beim Autogenen Training

  • Feste Übungszeiten!
    immer gleiche Tageszeit, sodass sich die Übungszeiten verselbstständigen und den Tag rhythmisieren
  • Position
    • Liegen
    • Droschkenkutscherhaltung
    • Angelehntes Sitzen
  • Übungsdauer
    die Anleitung erfolgt immer durch einen Therapeuten
    • 2–3 Minuten pro Tag sollten nicht überschritten werden
    • Jede Formel mindestens 1 Woche trainieren, dann erst zur nächsten übergehen. Lassen Sie sich Zeit, denn nur regelmäßiges und beharrliches Training führt Sie zu ihrem individuellen Konzept, von dem Sie lebenslang profitieren.
  • Zurücknahme!
    Ganz wichtig ist die beendende, exakte Zurücknahme – das Lösen aus der Selbstbetrachtung

Die Formeln hier sind nacheinander:

  • „Arme fest!“
  • „Tief atmen!“
  • „Augen auf!“

Anwendungsmöglichkeiten des Autogenen Trainings

Zum Beispiel zur Unterstützung bei

  • Asthma bronchiale
  • Angst (Prüfungsangst, Lampenfieber, vor Zahnarzt)
  • Rheumatischen Erkrankungen
  • Autoimmunerkrankungen
  • Schmerzbehandlung (Kopfschmerz, Migräne, Dysmenorrhoe, Magen-Darm-Beschwerden)
  • Schlafstörungen (Somnolenz)
  • ADHS (Aufmerksamkeitsdefizitsstörung/Hyperaktivitätsstörung)
  • Konzentrationsstörungen
  • Unruhezuständen
  • Herz-Kreislauf-Erkrankungen
  • Psychosomatischem Formenkreis (funktionelle Störungen wie Burn-out, Tinnitus)
  • Suchtverhalten

Wirkungen des Autogenen Trainings auf den Körper

  • Stärkung der Selbstwahrnehmung
  • damit Erkennen der eigenen Bedürfnisse (Achtsamkeit)
  • Abgrenzung zur Außenwelt (Grenzziehung zwischen Ich und Umwelt)
  • Management der Fremdbestimmung
  • Mobilisierung der psychoneuroimmunologischen Mechanismen (PNI), im naturheilkundlichen Sinne die Stärkung der „Anima“ und Aktivierung der Selbstheilungskräfte

Ein klarer Vorteil des AT gegenüber anderen Entspannungstechniken (Yoga, Qigong, …) ist, dass es, ebenso wie die Progressive Muskelentspannung, jederzeit an jedem Ort durchgeführt werden kann. Es ist ohne spezielle Hilfsmittel und mit wenig Zeitaufwand realisierbar und die Wirkung, der Erfolg, die Entspannung, tritt unmittelbar ein.

Bei regelgerechter Durchführung entwickelt sich dem Anwender ein individuell zugeschnittenes „Werkzeug“, das ihm jederzeit rezeptfrei und ohne Nebenwirkungen zur Verfügung steht.

2019

Dipl.-Biologin Jutta SchuHeilpraktikerin

Frau Schu studierte Biologie an der Universität Kaiserslautern und war in der Forschung am Institut für Humangenetik der Universitätsklinik Homburg/Saar tätig, wo sie auch ihr Diplom absolvierte. Einige Jahre lebte sie in Belgien und arbeitete im Bereich der Pharmazeutischen Markforschung. Nach ihrem Umzug nach Dresden begann sie mit der Heilpraktikerausbildung, die sie im Jahr 2008 erfolgreich beendete. Seit 2009 ist sie in ihrer eigenen Praxis tätig. Schwerpunkte ihrer Tätigkeit sind u. a. Klassische Homöopathie, Akupunktur, Phytotherapie, die Dorn-Breuss-Therapie, aber auch Gruppenkurse wie Autogenes Training oder Qi Gong. Ihr Behandlungskonzept beruht auf der ganzheitlichen Betrachtung des Patienten. Im Einklang mit der Naturheilkunde vermittelt sie ihre fundierten Kenntnisse in der klassischen Schulmedizin sowie der naturwissenschaftlichen und biochemischen Zusammenhänge von Körperfunktionen an der Dresdner Heilpraktikerschule oder in Vorträgen.