Der Arzt Paracelsus

Der Arzt Paracelsus fand in der 1. Hälfte des 16. Jahrhunderts recht verworrene medizinische Verhältnisse vor. Bei den meisten Ärzten galten die fast 800 Jahre alten Auffassungen von Aristoteles und die seit fast 500 Jahren gelehrte Säftelehre des Galen (bedeutendster römischer Arzt) als unumstößliche Wahrheiten. Doch mehrten sich die kritischen Stimmen …

Medizinische Traditionen

… vor allem in Italien, wo Paracelsus 1525 seine beiden Doktorhüte für Innere Medizin und Chirurgie erworben hatte. Und es gab zu seiner Zeit erst wenige Orte (z.B. Straßburg), wo menschliche Leichen zur Verbesserung der anatomischen Kenntnisse der Ärzte geöffnet werden durften.
Die Jahrmärkte dagegen waren beliebte Orte für öffentliche Operationen wie „Stein schneiden“ (Blasensteine entfernen), „Star stechen“ (grauen Star entfernen), von Zahnziehen und Aderlass ganz abgesehen. Mit Wunderheilmitteln wie Theriak (Allheilmittel des Arztes von Kaiser Nero) oder undefinierbaren Mixturen gegen mannigfache Leiden machten Bader, Scherer, Schwarzkünstler auf sich aufmerksam. Neben den Ärzten mischten Apotheker fleißig im Geldverdienen mit, indem sie nicht selten, dem verbreiteten Aberglauben folgend, grausliche Dinge zu „Arznei“ verarbeiteten.

Das paracelsische Arztverständnis

Paracelsus war diesen Zunftgenossen aus vielen Städten zutiefst abhold, und er gebrauchte deftige Worte gegen sie. Die Apotheker werden allein schon wegen unhygienischer Zustände in ihren Räumlichkeiten mit dem Ausdruck „Sudelköche“ belegt. Es war damals üblich, dass sowohl Ärzte als auch Apotheker Arzneien herstellten, ja selbst medizinische Laien taten es. Paracelsus forderte energisch eine weitaus höhere ethische wie fachliche Qualifizierung der Ärzteschaft, was ihm wiederum Feinde einbrachte. In verschiedenen seiner Schriften lesen wir Anforderungen wie diese:

„Das ist zum höchsten einem jeden Arzt zu ermessen, daß er in allen seinen Dingen ein Christ bleibe... und Gott fürsetze für unsern höchsten Vater.“ – „Ein Arzt soll der Höchste, der Beste, der Begründetste sein in allen Teilen der Philosophei, Physica und Alchimei. Und in den allen soll ihm nichts gebrechen. Und was er ist, das soll er mit Grund sein, mit Wahrheit und höchster Erfahrnis. – Also, ihr Ärzte, was ist uns nütze der Nam, der Titel, die hohe Schul, so wir nicht die Kunst auch haben? Die Kunst macht den Arzt, nicht der Name noch die Schul.“

Alchemie, Dosis und Arcanum

Und er weist der Alchemie einen wichtigen und allein würdigen Platz zu:

„Nicht, wie die sagen, alchimia mache Gold, mache Silber. Hie ist das Fürnehmen: Mach arcana (= Heilmittel), und richte dieselbigen gegen die Krankheiten.“

Dieser vielseitige und bei der Arzneibereitung erfahrene Praktiker fährt in seinem unverkennbaren Stile fort:

„So nun ein Arzt die Ding soll wissen, so stehet ihm zu […] was Kalzinieren, was Sublimieren sei, nicht allein mit der Hand, sondern mit der Veränderung auch darinnen, daran liegt mehr dann an dem andern. Dann durch die Ding, wie sie in der Bereitung begriffen werden, die geben die Zeitigung, die oft die Natur nicht geben hat. Und auf die Zeitigmachung muß der Arzt sein Kunst haben.“

Damit will er sagen: Der Arzt als Heilmittelproduzent muß die Techniken der Rohstoffbearbeitung beherrschen, besonders auch acht haben auf die dabei ablaufenden Veränderungen der Inhaltsstoffe und welchen Einfluss die Zeitdauer dabei hat. (Weiß doch z.B. jede Hausfrau, dass schwarzer Tee kurz gebrüht anregt, länger gebrüht beruhigend wirkt).
Und weiter:

»Alle Dinge sind Gift... allein die Dosis macht, das ein Ding kein Gift ist. – Ich nehme gleich, was ich will, so nehme ich eben das, in dem das arcanum ist wider die Krankheit, wider die ich streite... Ich scheid das, das nit arcanum ist, von dem, das arcanum, ist, und geb dem arcano seine rechte Dosis.«

Im Gegensatz zu vielen seiner Zunftgenossen verstand es Paracelsus meisterhaft, das richtige Quantum Arznei zu verordnen bzw. schon in seinen Pillen und Tropfen einzuarbeiten. Dazu kam – für ihn selbstverständlich – eine genaue Beobachtung der Wirkung seiner Maßnahmen am Patienten hinzu.

»Woraus soll der Arzt reden, als aus der Natur, wie sie ihn lehret? – Nicht allein, was im Buche stehet, sondern die Kranken sollen sein Buch sein. – Habt Fleiß, ihr Ärzte! Lernet, lernet!«

Erneuerung der Medizin und Pharmazie

Es mutet uns heute wie ein Märchen an, was vor knapp 500 Jahren Realität war. Paracelsus wirkte als Bahnbrecher mit schwerem Geschütz und hat in weiten Teilen Europas würdige Nachfolger in der Ärzte- und Apothekerschaft gefunden, die den heutigen – den seinigen turmhoch überragenden – Zustand geschaffen haben. Der gerechten Beurteilung halber muss hinzugefügt werden, daß die jeweiligen wirtschaftlichen Verhältnisse die Hygiene und die Produktionsmethoden und -verfahren auch in der Pharmazie wesentlich beeinflussen. Die Armut damals ist für uns kaum mehr vorstellbar. Doch Theophrastus Bombastus von Hohenheim sah mit klarem Blick die Missstände und geißelte mit scharfer Zunge diejenigen, die er für fähig hielt, für Besserung zu sorgen. Seine Kompromisslosigkeit wirkte, wenn auch zunächst kaum spürbar, als Initialzündung für ein neues Denken und Handeln in Medizin und Pharmazie. Den späten Dank der Menschheit hat er sich redlich verdient.


NHV Theophrastus, 2003

Foto: Porträt von Paracelsus, Pieter van Sompel (um 1600–1644) © wikimedia commons, gemeinfrei