Der Wunderdoktor und seine Heilmittel

Als Wunder bezeichnen wir (naturgesetzliche) Vorgänge, die wir uns mangels Kenntnis der wirkenden Gesetze nicht erklären können und/oder ihrer Seltenheit wegen darüber höchst erstaunt, verwundert sind. Dem Arzt Paracelsus gelangen sehr viele ärztliche Wunder.

Die Wunder von Paracelsus1

Als Wunder bezeichnen wir (naturgesetzliche) Vorgänge, die wir uns mangels Kenntnis der wirkenden Gesetze nicht erklären können und/oder ihrer Seltenheit wegen darüber höchst erstaunt, verwundert sind. Dem Arzt Paracelsus gelangen sehr viele ärztliche Wunder.
Dafür lassen sich mehrere Gründe anführen; Gründe, die uns heute fast banal erscheinen mögen, in seiner Zeit aber eher revolutionär waren. Er behandelte jeden Patienten individuell, beachtete dessen Konstitution, den Krankheitsstand und -verlauf, nahm Einfluss auf die hygienischen Zustände in der unmittelbaren Umgebung des Kranken und wendete oft neuartige Heilmittel an. Schon dies sicherte ihm größere Heilerfolge als vielen seiner Zunftgenossen. Bei den so genannten Steinleiden (Blasen-, Nieren-, Gallensteinen) setzte er auf auflösende Heilmittel und nicht auf chirurgischen Eingriff, wie es schon damals praktiziert wurde. Er ging neue, eigene Wege beim Erforschen der Krankheitsursachen und krank machenden Lebensumstände. Sehr eindrucksvoll belegen das zum Beispiel seine drei Bücher „Von der Bergsucht und anderen Bergkrankheiten“. Mit nie erlahmenden Eifer, hellem Sachverstand und feinem Empfinden suchte und fand der Hohenheimer naturgegebene Stoffe, die er zu wirksamen Heilmitteln („arcana“) verarbeitete. Dazu schöpfte er auch unvoreingenommen aus dem Erfahrungsschatz einfacher Leute, aus der Volksweisheit.

Wirken und Forschen

Neben den damals üblichen Pflanzenpulvern (getrocknete und zerriebene Heilpflanzen bzw. Teile davon), Abkochungen, Tees und Salben ging Paracelsus verstärkt zu Extraktionen mit Alkohol über, die konzentriertere und länger haltbare Arzneien ergaben. Seine chemisch-analytischen Fähigkeiten bewies er bei der Untersuchung verschiedener Heilquellen. Nur sein Befund über das Bad Pfeffers erschien zu seinen Lebzeiten (1535). Viele Minerale und ihre Fundstätten begutachtete er, so in Kärnten, der Schweiz, in Skandinavien. Er kannte und nutzte die Heilwirkung mehrerer Metalle bzw. deren Salze wie Quecksilber, Antimon und Kupfer. Den Anstoß zum Studium der Erze dürfte er von der arabischen Medizin erhalten haben. Viele seinerzeit angewandten Minerale sind heute vergessen oder werden in jüngster Zeit wieder „entdeckt“. Bernhard Aschner schreibt im Vorwort zur paracelsischen Werkausgabe von 1926:

„Auch die Kenntnis dieser Mittel und ihrer vielseitigen oft ans Wunderbare grenzenden Wirkungen ist unter dem Einfluß unseres heutigen einseitigen Systems zu 9/10 verloren gegangen. Welcher Arzt weiß heute noch etwas davon, daß man durch Quecksilberpräparate Kröpfe, tuberkulöse Drüsen und ebensolche Knochen- und Gelenkkrankheiten heilen kann.“

Mit wachem Geist prüfte Paracelsus geltende medizinische Lehrsätze, Theorien über die Natur, fortschrittliches Gedankengut und theologisch Festgeschriebenes und formte sich ein eigenes Weltanschauungsbild, aus dem heraus er manchmal auch scheinbar dickköpfig »gegen alle Welt« handelte. Eine hohe christliche Ethik war dabei sein unverrückbares Fundament. Seine Überzeugung vom Heilenkönnen im Einklang mit den göttlichen Gesetzen strahlte auf die Kranken aus und ließ auch die Schwerkranken Hoffnung schöpfen; und dieser Glaube an Genesung ist ja – wie sich zu allen Zeiten bestätigt – oft die halbe Medizin. Mit dem im Laufe der Zeit erworbenen Ruf als Wunderdoktor hatte er ein weiteres Plus auf seiner Seite, allerdings bei seinen Gegnern noch mehr Widerstand und auch Hinterlist.

Paracelsische Geheimnisse

Einige seiner wirksamsten Arkana hielt er in ihrer Zusammensetzung geheim. So sind die von ihm verabreichten Laudanumpillen bis heute nicht voll entschlüsselt. Er soll sie im abschraubbaren Knauf seines Schwertes, das er mit sich führte, aufbewahrt haben. Manche seiner medizinischen Erkenntnisse deutete er in seinen Schriften nur an und begründet seine Zurückhaltung damit, daß seine Gegner nur darauf aus wären, damit gutes Geld zu machen und ihn am Ende gar noch zu verleumden. Er hat es in der Tat von seinem Famulus Johann Oporinus und anderen seiner Schüler schmerzlich erfahren müssen. Paracelsus mußte, selbst klein und schmächtig von Gestalt, als ein Neuerer auf dem Gebiet der Medizin ein streitbares Wesen an den Tag legen, was die Zeitgenossen in zwei Lager spaltete: Begeisterte Anhänger und erbitterte Gegner. Bernhard Aschner formulierte es so:

„Wer aber neuen Wahrheiten zum Durchbruch verhelfen will, muß das mit Nachdruck und Selbstbewußtsein tun, und das verträgt sich eben oft schwer mit Temperamentlosigkeit und geschmeidigem unterwürfigem Wesen. Der Goethesche Ausspruch, nur die Lumpe sind bescheiden, bewahrheitet sich auch hier wieder.“

So ist dieser „Lutherus medicorum“ uns heute auch Vorbild und Beispiel in einem ganz anderen „Heilmittel“: der Zivilcourage, die den Mitmenschen Dienst und Hilfe anbietet ohne Rücksicht auf eigenes Wohlergehen. Man kann es auch wahre Nächstenliebe nennen.


NHV Theophrastus, 2003

Foto: Titelblatt (Ausschnitt) für Oswald Crolls "Basilica chymica" von Aegidius Sadeler II. (um 1570–1629) © wikimedia commons, Portrait of Paracelsus in Basilica chymica (Croll), CC BY-SA 4.0


  1. Aschner, Bernhard (Hrsg.): Paracelsus. Sämtliche Werke. Mit Einleitung, Biographie, Literaturanhang. und erklärenden Anmerkungen versehen von Bernhard Aschner, Jena 1926–1932.