Die Wegwarte als Gastwirt

Autor/en: 
Dipl.-Ing. (FH) Maria VogelPharmazie-Ingenieurin

Die vielseitigen Anwendungsmöglichkeiten der Wegwarte – Heilpflanze des Jahres 2020 – als Arznei, Nahrungs- und Genussmittel sind in den Artikeln des NHV Theophrastus nachzulesen. Die Wildpflanze hat jedoch auch noch eine besondere Bedeutung für Insekten.

Ins Gästebuch der Wegwarte geschaut

Wegwarte nimmt einen wichtigen Platz im komplexen Gemeinschaftssystem von Pflanzen, Tieren und Mikroorganismen ein. Sie stellt eine wesentliche Nahrungsquelle für Insekten dar. Käfer, Hummeln und Schmetterlinge, Bienen und Schwebfliegen besuchen die blauen Blüten, um dort Pollen und Nektar zu sammeln. Aber auch bei Meisen und Stieglitzen stehen ihre Samen auf der winterlichen Speisekarte.

Vor allem Wildbienen, beispielsweise die braunbürstigen Hosenbienen, sind wählerisch und auf Wegwarte und ihre Verwandten angewiesen, um die Beköstigung für sich und ihren Nachwuchs sicherzustellen. Denn sie haben sich auf die Unterfamilie Cichorioideae innerhalb der Korbblütler-Familie (Asteraceae) spezialisiert. Dazu gehören Pflanzen wie z. B. Herbst-Löwenzahn, Gänsedisteln, Habichtskräuter, Wiesenpippau und eben auch die Wegwarte.

Hosenbienen als Stammgäste

Hosenbienen sind wie die meisten Wildbienen Einzelgänger. Ihre durchschnittliche Lebenserwartung beträgt nur 4 bis 8 Wochen. Sie sind etwa 12 bis 15 Millimeter groß und haben weiß gefärbte Ringe auf dem Hinterleib. Die Weibchen sind durch ihre sehr langen, gelb-rötlichen oder braunen Haare an den Hinterbeinen zu erkennen. Dort bleiben die Pollen der besuchten Blüten hängen, sodass sie aussehen wie Pumphosen. So kann diese Wildbienenart auf einmal etwa 40 Milligramm Nahrung transportieren. Die Männchen haben keine solchen Sammelbürsten und sind daher kaum von anderen Wildbienen zu unterscheiden. Sie sind lediglich für die Begattung zuständig. Sie befliegen immer wieder dieselben Strecken zwischen Blüten oder Nistplätzen, sonnen sich oft an den gleichen Orten und sind noch kurzlebiger als die Weibchen.

Wildbienenweibchen sind direkt nach dem Schlüpfen geschlechtsreif. Rendezvous finden innerhalb des Nestes statt oder in romantischer Art auf Blütenpflanzen. Bald nach der Paarung beginnen die Weibchen mit dem Wohnungsbau. Die im Boden nistenden Hosenbienen bevorzugen trockene Wohngebiete mit nicht zu lockerem, sandigem Erdreich. Dieses finden sie beispielsweise in Sand- oder Lehmgruben, in Magerrasen, an Hochwasserdämmen und Dünen, aber auch in Siedlungsgebieten an Wegrändern oder in den breiten Fugen von gepflasterten Wegen. Der Eingang eines Hosenbienen-Nestes ist zu erkennen durch die herausgebuddelten kleinen Erdhügelchen. Das emsige Bienchen gräbt mithilfe ihrer langbehaarten Hinterbeine einen etwa 60 cm tiefen Hauptgang, welcher sich in viele waagerechte Nebengänge teilt. An deren Ende befinden sich die einzeln liegenden Brutzellen, von denen es in seinem kurzen Leben bis zu 30 Stück baut. Dort werden Pollen und Nektar zu einem Klümpchen geformt, was auf drei kleinen „Füßen“ steht. Dadurch wird der Bodenkontakt verringert und vermutlich eine Verpilzung verhindert. Auf diesem Klümpchen wird ein Ei abgelegt. Während des Baues nächtigen Weibchen in ihren Wohnungen. Männchen dagegen logieren unter freiem Himmel an Blüten. Ist die Wohnung vollständig ausgebaut und die Eiablage beendet, werden die Nester mit Sand oder Erde verschlossen. Die aus den Eiern entwickelten Larven verzehren den Proviant, überwintern in den Brutzellen als Ruhelarve und verpuppen sich im Frühjahr. Nach zehn bis zwanzig Tagen entfaltet sich der Nachwuchs zu jungen Wildbienen, die sich aus ihrer unterirdischen Wohnung freikämpfen. Bis es soweit ist, vergeht etwa ein Jahr. Dann fängt der Fortpflanzungszyklus von Neuem an.

Wildbienenarten sind gestaffelt von März bis in den Oktober hinein zu beobachten. Die Hosenbienen speziell haben Ausgang ab Juni bis September.

„Ab 14 Uhr geschlossen“

Alle Lebewesen wurden von der Schöpfung mit einer „inneren Uhr“ ausgestattet. Das gilt auch für Pflanzen. Ihre „innere Uhr“ aktiviert beispielsweise Gene für die Photosynthese, sie regelt ihren Tag-Nacht-Rhythmus und steuert auch Blühbeginn und -ende.

Wegwarte öffnet zeitig am Morgen ihre Blüten – nach dem bekannten schwedischen Naturforscher Carl von Linné Punkt 5 Uhr, hier in Mitteleuropa etwa eine Stunde später. Sie schließen sich aber auch zeitig wieder. Die „inneren Uhren“ der Pflanze und ihrer Gäste sind aufeinander abgestimmt. So müssen die Hosenbienen sehr früh aufstehen – im Gegensatz zu anderen Arten, die es gemütlicher angehen – und sollten am zeitigen Nachmittag bereits den größten Teil ihrer Arbeit erledigt haben, denn um etwa 14 Uhr wird das Lokal geschlossen.

Wohnraumschaffung und Kundenbindung

Wegwarte im Garten © NHV Theophrastus

Wegwarte im Garten © NHV Theophrastus

Wildblumen und damit auch Insekten mangelt es heute oft an Lebensraum. Dies liegt meist an einer Verarmung der natürlichen Landschaftsvielfalt durch Eingriffe der Menschen, z. B. das Anlegen von Monokulturen, immer mehr versiegelten Flächen, Verdichtung der Böden durch schwere Maschinen, zu häufiges Rasenmähen auf Blumenwiesen oder Feldrainen und schädliche Wirkung von Pestiziden.

Artenvielfalt zu fördern und Wildbienen zu schützen oder anzusiedeln ist sicher Anliegen vieler Gartenbesitzer. Um Nahrungsangebote zur Verfügung zu stellen, kann man auf seinem eigenen Grund und Boden eine „wilde Ecke“ wachsen lassen, auf der den Wildblumen das Blühen erlaubt wird. Auch bewusste Aussaat von Wildblumen-Samenmischungen z. B. an Wegrändern oder einer Böschung kann Insekten in die Gärten locken.

Wegwarte wird ab Mai direkt ins Freiland ausgesät. An den Standort hat sie wenig Ansprüche, nur nasse Füße mag sie nicht. Sie wächst auf steinigem, lehmigem oder sandigem Boden ebenso wie auf humusreichem, auf welchem sie dann besonders kräftige Wurzeln entwickelt. Blüten zeigen sich allerdings erst ab dem 2. Jahr. Sie verbreitet sich durch Selbstaussaat bisweilen stärker, als das dem Hobbygärtner vielleicht lieb ist. Damit sie nicht unkontrolliert aussamt, schneidet man täglich Verblühtes ab oder sammelt, wenn die Blüten vertrocknet und abgezupft sind die im Blütengrund befindlichen Samen für spätere Neusaat.

Insekten können Blühangebote jedoch nur nutzen, wenn auch der Wohnungsmarkt genügend Quartiere in der Nähe bereithält, denn sie fliegen oft nur wenige hundert Meter weit. Insektenhotels, wie sie im Handel angeboten werden, sind für Wildbienen eher nicht geeignet, denn sie locken meist nur Arten an, die es ohnehin häufig gibt und leisten schädlichen Parasiten Vorschub.

Etwa 50–75 % der Wildbienen nisten im Boden. Wo keine brachliegende, dünn bewachsene Fläche im Garten vorhanden ist, kann einfaches Abstechen der Grasnarbe in vollsonniger Lage eventuell schon für eine Ansiedlung nestsuchender Wildbienen ausreichen.

Aber auch Wohnungsneubau ist möglich. Große Pflanzkübel, Hochbeete oder ein neu angelegter Erdnistplatz sollten sich an einer sonnigen, trockenen Stelle befinden. Feiner, ungewaschener Natursand, der auch mit Erde gemischt sein darf, muss Schicht für Schicht festgestampft werden, bis er mindestens 50 cm hoch ist. Eine Begrenzung aus Natursteinen, Baumstämmen oder Wurzelstöcken hält ein Sand-Erde-Beet stabil. Spärlicher Bewuchs kann geduldet werden, da manche Arten gern im Schutz von Blättern nisten. Unerwünschte, keimende Pflanzen sind vorsichtig zu entfernen, ohne die Kellerwohnungen durch Hacken zu beschädigen. Kleine, locker gelegte Steine verhindern zu starkes Bewachsen.

Wenn solche oder ähnliche Nistplätze gepflegt und erhalten werden, wird ein jährlicher Neubezug garantiert sein, denn Wildbienen kehren gern an den Ort zurück, wo sie geschlüpft sind.

Die Notwendigkeit einer intakten Umwelt zur Sicherung menschlicher Grundbedürfnisse ist keine neue Erkenntnis, gerät aber immer wieder in Vergessenheit. Auswirkungen werden dann z. T. drastisch spürbar. Die Gesundheit von Mensch und Natur ist nicht trennbar. Bereits Paracelsus (1493–1541), der Reformator der Medizin, formulierte: „Wird die Natur geschützt, so ist sie es selbst, die alle Krankheiten heilt.“

Gehen wir achtsam mit Tieren und Pflanzen um, so leisten wir einen persönlichen Beitrag zur Gesundung der Natur und damit auch für unser eigenes Wohlbefinden.

2020


Verwendete Quellen (Auswahl)
Dipl.-Ing. (FH) Maria VogelPharmazie-Ingenieurin